Tag 35 : Unter der Birke -> Wurzenpass -> Trenta, Slowenien


schutzengel-einsatz


Song des Tages: „The Fall“ Ana Brun


Superspontan und ohne nachzudenken biege ich mit quietschenden Reifen nach links, als ich das Schild sehe: Wurzenpass klingt gut! Gestern schon bin ich den Tauern- und den Katschbergpass gefahren: ging super – hat sich kaum Stau hinter mir gebildet... Ich grinse, als ich an den verzweifelten BMW-Fahrer denke, der minutenlang hinter uns gefangen war und im Schneckentempo den Berg rauf schleichen musste. Der Arme. Ob er auch die hübschen Schmetterlinge gesehen hat, die uns ein ganzes Stück begleiteten? Franz wird auch diesen Pass schaffen und wenn nicht, kann ich ja wieder umdrehen und mich runterrollen lassen, aber was sollte schon passieren, außer Langsamkeit? Ich freue mich wieder einmal, dass ich einfach aus dem Moment raus Entscheidungen treffen kann, ohne mit irgendjemandem darüber diskutieren zu müssen. Und wie schön, dass ich mich auch in meiner fünften Reisewoche immer noch nicht alleine fühle – sondern im Gegenteil: immer unabhängiger und freier!

Also steige ich ein, in den Pass, gleich mal mit 13% Steigung – und Franz: kein Jammern, kein Jaulen, er steigt. Fein, fein! Mir bleibt Zeit, genüsslich die grandiosen Aussichten zu betrachten und ohne viel entgegenkommenden Verkehr in Ruhe die einfach wunderschöne Straße entlang zu kurven: es macht mir unglaublichen Spaß, meinen tollen Bus mit Schwung um die gepflasterten Kurven zu steuern...

In größtmöglicher Gemütlichkeit und mit chilliger Musik streife ich durch den Wald, passiere die unscheinbare slowenische Grenze und stoße auf einen strahlenden See. Bade-Stopp! Ich bin völlig erstaunt, hier Menschen zu treffen, denn bisher hat es sich angefühlt, als wäre ich fast völlig alleine in dieser Gegend. Eiskalt! Ich bin eine der wenigen, die sich in den Jasna-See traut, aber das Wasser mit seiner türkisen Klarheit zieht mich quasi rein – es ist einfach nur herrlich! In der Sonne taue ich langsam wieder auf und betrachte mit großen Augen die fast unwirkliche Landschaft: dicht bewaldetes Hochgebirge, so tiefe, klare Farben, so eine intensive Leuchtkraft von Bergblau und Waldgrün.

Franz steigt weiter klaglos in die Höhe und umkurvt eine Serpentine nach der anderen... Ich begutachte ständig seine Temperatur: relativ hoch, aber konstant und damit alles gut. Die Schaltung funktioniert wie bei einem Neuwagen, es gibt kein Klingeln oder Rattern vom Getriebe, Schrittgeschwindigkeit im ersten Gang klappt wunderbar... Ganz oben angekommen gibt es ein Mittagessen für mich, eine Abkühl-Pause für Franz und stolzes Auf-die-Schulter-Klopfen für uns beide.

Nach unserer Aufstiegsleistung rollen wir entspannt die slowenische Seite bergab: 18% Gefälle – wieder in Schrittgeschwindigkeit, auch wenn Franz gern schneller werden würde. Ich bremse hauptsächlich mit der Motorbremse und ärgere mich, dass ich mir nicht gemerkt habe, was mir mal über richtiges Bremsen auf langer Strecke erzählt worden war... Aber ich mache ganz langsam, Serpentine nach Serpentine, es ist eine einfach nur herrliche Straße. Als wir fast unten sind, ist ein wunderbarer Fluss schon in Sicht und ich bedauere, dass diese tolle Strecke schon vorbei ist. Die nächste Kurve, ich bremse – Nichts! Null Reaktion! Ich trete einfach das Bremspedal bis auf den Boden durch! Mir entfährt ein entsetztes Keuchen und reflexartig ziehe ich mit aller Kraft die Handbremse! Mit einer Hand am Bremshebel, mit der anderen Franz um den U-Turn gelenkt, nicht schlecht. Drei Tonnen mit der Handbremse halten und Franz hat schon echt Schwung drauf: da sind meine Muckis gefragt!... Als er etwas langsamer ist, haue ich unsensibel den ersten Gang rein, Motorbremse und reisse wieder heftig an der Handbremse.. Die Straße wird langsam flach, läuft geradeaus, wir sind unten. Ich rolle an den Fahrbahnrand, bremse auf Null, Warnblinker rein und zittere... Das war richtig, richtig, richtig knapp!

Ich tätschle Franz voller Dankbarkeit die Motorhaube und gehe, meine wackligen Beine auslüften, zum Fluss hinunter. Bis über den Kopf tauche ich in die eiseiseis(!)kalte Gumpe, lasse mich lange von der Sonne wieder auf Normaltemperatur aufheizen und kann gar nicht aufhören, mich für das gut ausgegangene Malheur zu bedanken...
 
Erfrischt, aber immer noch zittrig fahre ich meinen Bus mal vorsichtig an, die Bremsen greifen minimal. Trotz flacher Strecke, fahre ich also im Schneckentempo weiter und wie ein weiteres Geschenk kommt schon nach ein paar Minuten ein Campingplatz in Sicht. Ich stelle Franz ab, richte ihn für die Nacht her, dusche lange und setze mich mit einem slowenischen Bier auf Franzens Stoßstange, um völlig matt vor mich hin zu starren...