sandbuddeln für fortgeschrittene
Song des Tages: „Wake up“ Awolnation
"Ein Problem ist nur eine Lösung in Arbeit"
Hermann
„....It‘s only gonna take a little time
before we start to lose our minds...“
Abfahrt mit einer 90° Wende - von Nord-Ost nach Süden... und es ist wie auf jeder Reise: der Richtungswechsel macht mich sehr sentimental. Es war viel zu kurz hier, ich habe viel zu wenig gesehen
... Aber es war ja eigentlich auch nur geschenkte Zeit für den „Business-Trip“ des Buchs: da darf bzw. will ich mich überhaupt nicht beschweren!
Also steuere ich das letzte meiner ganz wenigen vorab ausgedachten Ziele an: den gigantisch grossen Peipussee ganz im Osten Estlands, dessen andere Uferseite schon in Russland liegt. Spontan
folge ich einem Campingplatz-Schild in den Wald hinein und bin ungläubig vor Freude, als ich in dieses Areal einfahre: hohe, freundliche Kiefern in hellem Lichtgrün und dann dem Ufer entlang
verstreute Feuerstellen und überdachte Sitzgelegenheiten, locker verteilt und (in dieser Jahreszeit) völlig menschenleer: grandios!
Und der See: Ach, schön! Ich liebe Herbststimmung, die tiefen Wolken und die Kälte, das grandiose Sandgrau-Stahlblau-Spektrum...
Das ist ein Platz so ganz nach meinem Herzen, auf dem ich zu gerne heute (und vielleicht länger) bleiben würde, wenn es die Zeit erlaubte. Ich bin völlig alleine und mit mir ist nur das
streichende Rauschen des Windes und das ganz schüchterne Tröpfeln des Regens. Stehen und geniessen!
Aber ich bin etwas unruhig, denn die bis zur Fähre noch vor mir liegenden Kilometer müssen heute mindestens zur Hälfte weggearbeitet werden... Und auch wenn die Straßen perfekt ausgebaut sind:
mit den erlaubten (und streng kontrollierten) 90 Sachen dauert es seine Zeit...
Wieder durchschneidet meine Route den Wald. Wenn ich diese Reise beschreiben würde, wäre es vor allem die Farbe grün-gold, die mich den größten Teil des Tages in Waldform umgibt... In der irrigen
Annahmen von Ablenkung lasse ich ein Hörbuch laufen - und schlafe in Kombination mit der Null-Aussicht fast ein. Also: Trucker-Lunch mit Kaffee an der Tanke und dann wieder sehr laute Tanzmusik,
bis die Boxen krachen! So vergeht die Strecke ganz geschwind und ich riskiere lieber Gröl-Heiserkeit statt Randstreifen-Kontakt mit zugefallenen Augen .
Um zur perfekten Abendessen-Zeit (also kurz vor dem Sonnenuntergang um ca 18 Uhr) geborgen auf einem netten Campingplatz zu stehen, suche ich auf der Karte nach dem besten Platz und sehe, dass
nur ein einziger bleibt, der geöffnet ist. Keine Zeit verlieren: ich folge dem Handy-Navi und biege in die Schotterstraße ein. Ich mag diese ollen Straßen, auch wenn diese so stark geriffelt ist,
dass ich hier extrem rumpelnd maximal 20 km/h fahren kann und das etwas nervt... Ich fahre und fahre und fahre - führt der Weg erst noch an ganz vereinzelten/ vereinsamten Ferienhäusern vorbei,
wird er dann immer schmäler, hubbeliger und dann sandiger, bis ich nach über einer halben Stunde hinter einer Kurve unvermittelt vor einem Sandhügel mit tiefen Spurrillen stehe. Ich lasse Franz
laufend stehen und gehe die Anhöhe hinauf, um den Boden zu testen: keine gute Idee, hier herauf zu fahren! Deutlich kann ich an den Spuren erkennen, dass hier kürzlich jemand mit Ästen
nachgeholfen hat, seine Kiste auszugraben - die Spuren zeigen aber auch, dass er es den Hügel nicht hinauf geschafft hat, sondern zurücksetzen musste.
Aber natürlich packt mich a) der Ehrgeiz, es doch zu schaffen und b) die Abneigung, die fiese Schotterpiste zurückrumpeln zu müssen und c) die sehr starke Sehnsucht nach dem nahegelegenen
Ruheplatz ... Mit viiiiiel Gefühl zwinge ich Franz. Er schlägt sich tapfer - aber wir schaffen es nicht: der Sand ist viel zu tief, zu weich, zu wenig griffig. Ich buddle die Vorder-Reifen aus,
schiebe mit meinen Clocks den Sand zur Seite, lege Zweige unter die Reifen, trample uns einen Weg frei... ich bin eine dreiviertel Stunde voller Elan, diesen Hügel zu überwinden... aber als ich
dann Starthilfe brauche, weil Franz abgesoffen ist und sein Kühler anfängt, durchzulaufen und zu guter Letzt sich auch noch die Dunkelheit auf das sandige Chaos herab senkt... lasse ich die
Vernunft siegen und fahre Franz rückwärts die erkämpften Meter des Hügels wieder herab. Weil die Piste viel zu schmal zum Wenden ist, steuere ich mit offener Fahrertür etwa 2 Kilometer den Weg
rückwärts zurück: ist gerade noch hell genug für dieses Manöver.
Mit gekränktem Sportsgeist ärgere ich mich ein wenig, dass meine vorletzte Lettland-Übernachtung auf dem zum Greifen nahen Campingplatz durch diese Sanddüne vereitelt wurde, aber ich zünde im
Geiste Hunderte von Kerzen an, dass Franz nicht komplett stecken geblieben ist, sondern mit mir nun wieder auf Riga‘s Teer kreuzt. Wenn es nicht dunkel geworden wäre (und mich mein deutlicher
Hunger nicht geschwächt hätte), hätte ich die paar letzten Meter auch noch gemeistert - aber Dunkelheit lähmt und verunsichert mich...
Inzwischen ist es stockduster und kalt: ich bin echt heilfroh, wieder auf der Strasse gelandet zu sein und nicht im Wald zu stehen. Kein anderer geöffneter Campinhplatz wird in der Nähe
angezeigt: also, auch wenn es mir sehr (!) leid tut, Franz schon wieder alleine zu lassen: Hotel! In Riga lotst mich mein Handy zu einer miesen Kaschemme von Hotel zwischen Lagerhallen und
Bowling-Bahn. Aber lieber hier, als weiter zu fahren.... Und mit Lachs, Käse, Schüttelbrot und Rotwein mache ich mir ein nettes Abendessen im (fiesen) Hotelzimmer...