Tag 4 : Amsterdam


fast zu schön


Song des Tages : „bleibmalogga“ fünf sterne deluxe


Erstaunlichweise ist die Nacht trotz Vollbelegung des Campingplatzes und internationalem Publikum aller Altersklassen (wobei die Italiener deutlich dominieren) absolut still. Ich höre ganz leise die Bässe einer benachbarten Feierlocation, vereinzelt Mopeds vorbeisausen und das Tuten einiger Schiffe: sonst nichts. Ich bin baff.

 

Schon ganz früh zieht es mich los: ich bin sehr gespannt! Die Fähre zum Zentrum legt vor meiner Nase ab, die nächste kommt in 20 Minuten - so bleibt mir schön Zeit, um im Café "Brood" direkt am Anleger einen Cappuchino auf der Dachterrasse zu trinken. Ich lasse mir die steife Meeresbrise um die Nase wehen, sehe den Hipstern und Künstlern und Familien und anderen hübschen Blonden zu, wie sie ihren Alltag beginnen - und beobachte die nächste Fähre gemütlich beim Ablegen...

 

In etwa 15 Minuten kreuzt das kleine Schiff den IJ, um direkt am Hauptbahnhof die Passagiere auszuspucken und in den chaotischen Verkehr zu entlassen. Amsterdam besteht aus 20% Autofahrern (Lieferanten und Anzugträger), 20% Fußgänger (Touristen und Senioren), 10% Mopedfahrern (dürfen nervigerweise auf dem Radweg fahren) und 50% Radfahrern (quasi alle mit Holland- oder Lastenrädern unterwegs). Und es ist völlig klar, wer das Sagen hat: den Radfahrern stehen alle Rechte und definitiv fast der ganze Platz zu. Es herrscht ein riesiges Gewirr, ein großartiges Chaos (oder habe ich nur keine Vorfahrts-Regeln herausgefunden?) und dabei die absolute Ruhe. Kein Geklingel, kein Geschrei und schon recht kein Hupen seitens der Autofahrer... Jeder achtet auf Jeden, alle durcheinander und ich mittendrin mit meinem quietschenden Klapprad "Ernie", dem die Bremsen fehlen und immer mal wieder das Vorderrad herausfällt... So muss das sein, damit ich mich pudelwohl fühle!

 

Allerdings: Es ist mir zu voll! Das Alltags-Gewühle des Verkehrs finde ich super, der Menschen-Auflauf an Touristen nervt mich sofort. Die Sonne scheint, es ist heiß, die Menschen drängen sich durch die Straßen: ich suche einen Ausweg... Ich bin wieder völlig ohne Plan unterwegs, habe nur ganz kurz am Morgen in den schönen Amsterdam-Blog geguckt und steuere so ungefähr das "Jordaan"-Viertel an, das tatsächlich gleich viel entspannter ist, als die typische "Innenstadt". Ich kreuze kreuz und quer, von Gracht zu Gracht und bin total beeindruckt:

so viel Schönes, Aufgeräumtes, Geordnetes, Heimeliges! Ein zartes Glockenspiel erklingt, die Straße duftet nach Brot, aus einem offenen Fenster ertönt Klavierspiel, putzig blonde Mädchen hüpfen lachend mit ihrer hübschen Mutter zum Spielplatz, die Studentinnen sitzen so unfassbar lässig auf ihren Fahrrädern und halten ihre Kaffeebecher in der Hand, sehr schicke Männer unterhalten sich auf englisch während sie ihre alten Räder mit Kindersitzen halten, die Senioren sitzen plaudernd im Café... Herrjeh: wieviel Heile-Welt kann man aushalten? Ich jedenfalls habe irgendwie das Gefühl, als sei dies eine unwirkliche Traum-Kulisse, oder der Vorspann zu einer Grusel-Geschichte... Ich finde es wunderschön, aber irgendwie ZU schön...

 

Nach gefühlten 100 Radl-Kilometern lasse ich mich von der Fähre zu "meinem" NSDM-Viertel zurückbringen: abgerockt, ursprünglich, graffitiübersäht, kreativ, frei, wild, wunderbar!